Leuchtturmprojekt oder Rohrkrepierer

SSC-Athleten hoffen immer noch auf “gutes Ende”

Leichtathletik. Der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) kündigte Anfang Juni durch seinen Generaldirektor Idriss Gonschinska die wegen Covid-19 zunächst in Frage gestellten und dann auf den 8./9.August verschobenen nationalen Meisterschaften in Braunschweig als “Leuchtturmprojekt” an. Dabei schoss der DLV mit seinem auf 45 Seiten dargestellten Hygienekonzept weit über das Ziel hinaus, ließ in der Vorlage alle Strecken jenseits der 800 Meter außen vor und handelte sich damit selbst von seiner hochdekorierten Läuferprominenz einen “Shitstorm” ein. Leidtragende des Konzepts könnten auch die Athleten des SSC Hanau-Rodenbach sein.

Hindernisläuferin Lisa Oed, 1500-Meter-Ass Lukas Abele und sein jüngerer Bruder Marius, ebenso wie 5000-Meter-Läufer Aaron Bienenfeld allesamt schon im Nationaltrikot eingesetzt und bei deutschen U20- und U23-Meisterschaften mit Gold dekoriert, würde bei direkter Umsetzung der Planung die Startchance in Braunschweig genommen, womit sie in “bester Gesellschaft” mit Olympia-Anwärterinnen wie Hindernis-Europameisterin Gesa Krause, Weltklasseläuferin Konstanze Klosterhalfen (1500m/5000m) oder U23-Europameisterin Alina Reh (10000m) wären. Krause und Klosterhalfen fanden harsche und klare Worte in Richtung DLV, der sich gegenüber den professionell agierenden und konsequent auf Corona getesteten Fußballern unflexibel und geradezu anfängerhaft im Umgang mit den Bedürfnissen der Läufergarde präsentierte. Immerhin ruderte der Verband daraufhin zurück und stellte in Aussicht, “die Dynamik der Corona-Risiko-Bewertungen sowie etwaige Lockerungen aktuell zu beobachten und unsere Konzeption entsprechend anzupassen.”

Dem 5000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann (1992/Barcelona) war das längst nicht genug. Der 55-jährige Schwabe stuft das Vorgehen auch weiterhin als “inakzeptabel” ein und will für seine Spezialdisziplin sogar die Tests der Athleten aus eigener Tasche bezahlen. Gegenwind gab es unverhofft auch von Kugelstoß-Weltmeister David Storl, der dem DLV die Gelbe Karte für die fehlende Kommunikation mit den Athleten zeigte:”Man hätte das vorher diskutieren und nach Lösungen suchen müssen.”
Die einfachste Lösung findet sich im Vorschlag von Dieter Baumann: “Einen Tag vor der DM testen, dann ab ins Hotel und am nächsten Tag wird bei negativem Test gestartet.” Aber der DLV scheint trotz zahlreicher Sponsoren diese niedrige fünfstellige Summe für alle Laufdisziplinen zusammen nicht auf den Tisch legen zu wollen – ein Armutszeugnis für die olympische Kernsportart.

SSC-Ass Aaron Bienenfeld, in diesem Jahr mit 13:47 Minuten über 5000 Meter so gut in Form wie nie, plädiert für eine deutliche Verschärfung der Qualifikationszeiten und “kleine Felder mit viel Talent.” Dem vagen Verbandsvorschlag, die Mittel- und Langstrecken ins für September geplanten Berliner ISTAF zu integrieren, gewinnt er für sich persönlich nichts Positives ab: “Dann bin ich schon wieder an meiner Uni in den USA, um meinen Master zu machen.”
1500-Meter-Spezialist Lukas Abele traut sich zwar auch über 800 Meter eine Platzierung zwischen Rang fünf und acht zu, weiß aber nicht, ob er bei beschränkten Starterfeldern angesichts seiner Bestzeit von 1:49 Minuten überhaupt die Zulassung erreichen würde. “Insgesamt bin ich immer bereit und stelle mich auf die jeweilige Situation ein. Ob ich jetzt in Braunschweig laufe oder später in Berlin ist mir eigentlich egal – Hauptsache, ich kann laufen”, so Abele. Und für Lisa Oed wäre die Integration in das ISTAF sogar noch eine besonders lohnende Aussicht. “Ich habe mit Berlin noch eine Rechnung offen, nachdem es dort im Vorjahr nicht ganz so gut lief.” Andererseits kommt sie zum Braunschweig-Termin direkt aus dem Davos-Höhentrainingslager mit Gesa Krause in die Heimat zurück und erwartet durch den besonderen Trainingseffekt auch besonders gute Leistungen. “Wenn es aber nicht die DM in Braunschweig gibt, dann hoffe ich, einen vergleichbar hochwertigen Wettkampf zu finden, zum Beispiel auch im Ausland”, erklärte die 21-jährige Medizinstudentin.

So bleibt zu hoffen, dass die drei Topsportler ihr Können dieses Jahr noch zeigen dürfen und der DLV doch noch einen Weg findet, alle Läufe in Braunschweig durchzuführen. Klar ist aber auch, dass die Hauptmotivation für den Verband nicht in erster Linie die Belange der Sportler, sondern wirtschaftliche Gesichtspunkte sind. Live-Übertragungen mit den TV-Partnern sollen nach einer bislang “ausgefallenen Saison” Sponsoren ins rechte Licht rücken und ein Millionenpublikum erreichen. Es wird sich zeigen, inwieweit die aktuell noch geplanten “Geisterspiele” diesem Anspruch gerecht werden können.